Suche

Themenwelt

Gottfried Böhms Bauten im fotografischen Archiv von der Ropp

von Manuela Klauser

Der deutsche Architekt und Pritzker-Preisträger Gottfried Böhm (1920–2021) verstarb im Juni 2021 mit 101 Jahren in Köln. Böhm hinterlässt ein über viele Jahrzehnte gewachsenes, ebenso vielfältiges wie umfangreiches architektonisches Werk. Es steht exemplarisch für die Entwicklungsstufen der Architektur von den Nachkriegsjahren bis in die heutige Zeit, ist zugleich aber als eigenwilliges, unverwechselbares Œuvre zu verstehen. Zu den letzten aufsehenerregenden Projekten des Architekturbüros, an denen er beteiligt war, zählen die 2004 eröffnete Stadtbibliothek in Ulm und das 2006 eingeweihte Hans-Otto-Theater in Potsdam, doch bis zuletzt besuchte er das weiterhin bestehende Architekturbüro Böhm in Köln nahezu täglich.

Böhms Bauten verweisen in ihren vielschichtigen, raumgreifenden Strukturen und in ihrer oft skulptural anmutenden Gestaltung ebenso sehr auf sein Interesse an der Bildhauerei – parallel zu seinem Architekturstudium in München besuchte er von 1942 bis 1945 die Bildhauerei-Klasse der Akademie der Bildenden Künste – wie auf das Bewusstsein, dass Architektur mit ihrer Umgebung und mit ihren Benutzern interagiert – also ein kommunikatives Medium ist.

Inge von der Ropp (1919–1989) zählt zu den wichtigsten Architektur-Fotografen der Nachkriegszeit. Nach dem Krieg absolvierte sie zunächst eine Fotografieausbildung an den Kölner Werkschulen und anschließend ein Fotografiestudium an der Kölner Höheren Fachschule für Photographie (HFP) in Köln. Seit 1956 als freie Fotografin arbeitend, spezialisierte sie sich auf Landschafts- und Architekturaufnahmen. Ihr Sohn Arved von der Ropp (*1943) wurde nach einer Lehre im Fotofachhandel in das Geschäft seiner Mutter eingebunden. Gemeinsam wagten sie sehr früh den Einstieg in die Farbfotografie für Broschüren und Bücher und richteten an ihrem Wohnsitz in Rodenkirchen ein eigenes Entwicklungslabor ein. Die Arbeiten Inge und Arved von der Ropps gelten als Pionierleistungen auf diesem Gebiet.
Gottfried Böhms Werke fotografierte das Atelier von der Ropp vor allem in den 1960er- bis 1990er-Jahren. Dabei bewies das Fotografen-Duo immer wieder ein ausgezeichnetes Gespür für die räumliche Ambivalenz, perspektivische Vielschichtigkeit und gestalterische Dynamik der Bauten. Die Aufnahmen fokussieren meist nicht so sehr die Gebäude selbst; sie suchen selten die klassische Gesamtperspektive, sondern spüren immer wieder ebenjene Zwischenräume und Bezüge zur Umgebung auf, die dem Architekten Gottfried Böhm so wichtig waren. Deutlich werden in vielen Detailaufnahmen die ebenfalls für Böhms Architektur typische Überwindung der Grenzen von innen- und außenräumlichen Strukturen herausgearbeitet.

Teil I: Burgenbau reloaded – zwischen Denkmalschutz und Transformation

Drei vermeintlich ähnliche Bauaufträge entstanden über einen Zeitraum von 15 Jahren und markieren somit ganz unterschiedliche Werkphasen Böhms. Gleichzeitig eint sie jedoch der gemeinsame Nenner, jeweils eine mittelalterliche Burgruine als Kern zu besitzen, die auszubauen beziehungsweise in einen Neubau zu integrieren und zugleich zu transformieren war. Wie das aussieht, sieht man bei der Godesburg am Rhein, dem Rathaus in Bensberg (Bergisches Land) und dem Hotel Kauzenburg (Bad Kreuznach).

Die Godesburg (1956-58, Region Mittelrhein)

Die einst bei Bad Godesberg hoch über dem Rhein errichtete, romantische Ruine der Godesburg erfuhr bereits Ende des 19. Jahrhunderts einen Ausbau als Wohnhaus samt Gaststube. Böhms Ergänzungen sind den teilweise ruinösen Mauerbeständen angefügt, ohne rekonstruierend zu wirken. Ebenso wenig suchen die hinzugekommenen Bauteile das Objekt zu romantisieren oder zu dominieren. Der Architekt schöpfte das Potenzial des vorhandenen Orts auf behutsame und doch innovative Weise aus. Er schuf schlichte Verbindungen aus steinmetzartig bearbeitetem Sichtbeton und neue, überwiegend großformatig verglaste Räume zwischen den Mauerresten, die dem Hinzugefügten ebenso viel Präsenz zugestehen wie dem bereits Vorhandenen.

Böhm erhielt Anfang der 1950er-Jahre den Auftrag, die Burgruine in kommunalem Besitz in zwei Bauabschnitten zunächst zu einem Restaurant auszubauen und dann zu einer Hotelanlage zu erweitern. Die ersten Entwürfe entstanden 1956, der Baubeginn erfolgte 1959. Neben dem Bergfried waren Teile des Palas und Mauerreste der Vorburg in den Ausbau zu integrieren. Zwischen 1959 und 1961 entstand zunächst der Restauranttrakt samt großem Festsaal (Rittersaal), dessen verglaste Außenfront einen herrlichen Blick über das Rheintal erlaubt. Die asymmetrische Form des Trakts folgt in ungefähren Zügen dem Grundriss der ehemaligen Burganlage.

Rathaus Bensberg (1962–1964/67; Bergisches Land)

Anfang der 1960er-Jahre war mit dem Ausbau der Bensberger Burg im Bergischen Land eine ähnlich herausfordernde Aufgabe zu lösen, die doch ganz andere Voraussetzungen aufwies. Die weitaus umfangreicher erhalten gebliebenen Teile der Burgruine stehen auf einer leichten Anhöhe mitten im Ort.

1962 gewann Gottfried Böhm den Wettbewerb zum Neubau des Bensberger Rathauses. Mit dem Auftrag, die zentral gelegene Burg mit einzuschließen, strebte der Architekt eine wahrhaft metaphorische Integration aller noch vorhandenen Burgteile in den Neubau an, die Inge und Arvid van der Ropp mit ihrer Kamera aus verschiedenen Perspektiven einzufangen suchten, während andere Fotografien meist je einen der Bereiche Alt oder Neu fokussieren.

Zwischen 1964 und 1971 fügte Böhm die in aufgerautem Sichtbeton und teilweise großformatigen Verglasungen neu errichteten Trakte zwischen die vorhandenen Mauerteile ein. Rechte Winkel und gleichförmige Fronten beziehungsweise angeglichene Dachniveaus konsequent vermeidend, ist die Fassade des Bensberger Rathauses sowohl in der horizontalen als auch vertikalen Gestaltung ein äußerst dynamisch gestuftes und terrassiertes Objekt. Die Gestaltung von Öffnungen unterschiedlichsten Formats sowie der Wechsel von winkeligen und abgerundeten Gebäudekanten greifen immer wieder die Ästhetik der mittelalterlichen Bausubstanz auf. Die Beschränkung auf drei Materialien – heller Sichtbeton, dunkle Stahlrahmen und Glas – grenzen Alt und Neu klar voneinander ab, lassen jedoch keine visuelle Konkurrenzsituation entstehen. Die Ergänzungen behaupten sich trotzdem selbstbewusst gegen die historische Substanz und bilden mit ihr ein kontrastreiches Ensemble, bei dem die Neuanlage regelrecht aus dem historischen Mauerwerk herauszuwachsen scheint.

Kauzenburg (1970/71; Bad Kreuznach)

Noch während des Ausbaus des Bensberger Rathauses erhielt Böhm 1969 den Auftrag, die Ruine einer auf einem Höhenrücken des Nahetals gelegenen Wehranlage – der Kauzenburg – zu einer Hotelanlage auszubauen. Im Unterschied zu den kommunalen Aufträgen für Bad Godesberg und Bensberg erfolgte dieser Ausbau ab 1971 im Auftrag privater Investoren.

Sowohl in der Fernsicht als auch im Detail ist gut zu erkennen, dass die vorhandene Bausubstanz einen anderen Umgang mit der Aufgabenstellung erforderte als die beiden anderen Projekte. Von der Kauzenburg waren neben den Kellergewölben nur wenige Turmreste erhalten, die vor allem vertikale Ergänzungen und Umschließungen einforderten. Die historische Bausubstanz behauptet sich vorrangig in der Hanglage, während sich das Hotelgebäude über die Zufahrt in einer zeitgemäßen, repräsentativen Geschlossenheit zeigt.

Teilweise arbeitete Böhm auch hier mit Ergänzungen in Sichtbeton, beschränkte diese aber auf Bereiche der Sockel- beziehungsweise der Zugangszone, während sich die eigentlichen Neubauten mit einer metallenen Vorhangfassade in dunklem Braunrot deutlich vom historischen Mauerwerk abheben. Die Überbauten aus Glas und Stahl sind dabei zinnenartig mit dem Außenmauerwerk verzahnt. Ihre teilweise grobe Linienführung aus erkerartigen Vor- und Rücksprüngen erlaubt spielerische Assoziationen mit der Vergangenheit des Orts, ohne historisierende oder romantisierende Anklänge aufzugreifen.

Weiterführende Literatur (Auswahl):
- Frank Dengler, Bauen in historischer Umgebung. Die Architekten Dieter Oesterlen, Gottfried Böhm und Karljosef Schattner, Hildesheim u. a. 2003.
- Der Architekt Gottfried Böhm. Zeichnungen und Modelle, hrsg. vom LVR, Ausst.-Kat. Rheinisches Landesmuseum Bonn, Köln 1992.
- Gottfried Böhm. Bauten im Rheinland 1950 –1980, hrsg. von Svetlozar Raèv, Ausst.-Kat. Bergisch Gladbach 1995.
- Gottfried Böhm, hrsg. von Wolfgang Voigt, Ausst.-Kat. Deutsches Architekturmuseum (DAM), Frankfurt am Main 2006.
- Wolfgang Pehnt, Gottfried Böhm, Basel 1999. Zum 100. Geburtstag von Gottfried Böhm, hrsg. von Wolfgang Pehnt, das münster, Sonderheft 73/2 (2020).

Dr. Manuela Klauser arbeitet als freie Kunsthistorikerin, Kuratorin und Autorin sowie als Redakteurin des Internetportals Straße der Moderne, das Kirchenbauten der letzten hundert Jahre und daran beteiligte Kirchenbaumeister, Architekten und Künstler porträtiert.

Weitere Fotografien zu Gottfried Böhm aus der Sammlung Arved von der Ropp finden Sie hier.